„Ja - ist ganz schön hier. Können wir jetzt wieder zurück?“

Nach zweitägiger Pause vom Unterrichtsalltag stand heute die Fahrt in den Nachbarstaat Illinois und der Abschlussbesuch in Chicago auf dem Programm. 

Das Wochenende war, entgegen ursprünglicher Planung, fast vollständig in den Familien verbracht worden. Die geplante Teilnahme an einem Volkslauf am Samstag musste wetterbedingt leider abgesagt werden. Der Himmel hatte sämtliche Schleusen geöffnet und von den frühen Morgenstunden an ergoss sich konstanter Starkregen über die Äcker Indianas. Gut für die Natur, schlecht für Jugendliche mit Tatendrang, die sich mit Indooraktivitäten über Wasser halten mussten. Natürlich mussten auch die Abendaktivitäten an die Wetterbedingungen angepasst werden. In Indiana heißt das, dass die Party in und um der Scheune trotzdem mehr oder weniger im Freien stattfindet, das Lagerfeuer jedoch wegen Nässe ausfällt. Erneut wurde uns eine große Wertschätzung zuteil, da der organisierende Herr die gesamte Kirchengemeinde samt Pastor einlud und beim Spenden des Segens für das Essen und unsere Feierlichkeiten sogar uns Deutschen das Wort erteilte. Mit Gottes Beistand änderten sich sehr schnell Stimmung und Wetter und trotz anfänglicher Bedenken, wurde das Fest zu einem stimmungsvollen Beisammensein von Schülerinnen und Schülern beider Nationen, Gasteltern, Einwohnern von Warren County und Lehrern. 

Nachdem der Sonntag vollständig aus individuellem Programm in den Gastfamilien bestand, traf man sich Montag morgens bereits um 7 Uhr ein letztes Mal an der Seeger Memorial High School und bestieg den geliebten gelben Schulbus. 

Nach zweieinhalb Stunden Fahrt erreichten wir den Indiana Dunes State und National Park. Nachdem wir eine Woche lang nur auf Maisfelder und gelegentlich Wälder geblickt haben, staunten wir nicht schlecht, als wir am Nordende Indianas plötzlich an einem Strand standen. Am Ufer rollten sanft Wellen an Land und das Wetter vermittelte uns den Eindruck als stünden wir an der Nordsee, trotz fehlenden Salzgeruchs. Der Lake Michigan, einer der großen amerikanischen Seen, ist ob seiner Ausmaße mehr als beeindruckend. Den National Park-Status haben sich jedoch die bis zu 60 Meter hohen Dünen erarbeitet, die sich malerisch hinter dem Strand erheben. Sie bieten vielen Vogelarten Unterschlupf und wurden von unseren Schülerinnen und Schülern für Wanderungen genutzt, die den einen oder die andere an den Rand ihrer Belastbarkeit brachten. 

Zur Erholung war eine einstündige Busfahrt angesagt, die uns durch die industriell geprägten Vororte der Chicagoland Area führten. Riesige Fabrikanlagen und rauchende Schornsteine stellten die Ernsthaftigkeit des wenige Kilometer entfernten Naturschutzgebietes lächelnd in Frage und ließen uns kurzzeitig an unserer Wahl Chicagos als abschließendes Reiseziel zweifeln. 

Diese Zweifel waren jedoch im Handumdrehen wie weggeblasen, als sich am Rande des Highways die Silhouette von Chicagos Skyline abzeichnete. Im Gegensatz zu den wenigen Hochhäusern von Indianapolis haben die Wolkenkratzer der See-Metropole architektonisch einiges zu bieten. Unsere erste Anlaufstelle war deshalb das mit 442 Metern zweithöchste Gebäude der USA: der Willis Tower. Diese Höhe wurde auf einer weniger als einminütigen Fahrstuhlfahrt bewältigt, während auf einem Bildschirm gezeigt wurde, welche berühmten hohen Gebäude gerade vom Fahrstuhl fiktiv passiert wurden. An der Spitze angekommen bot sich ein unbeschreiblicher Blick über die Dächer der Hochhäuser Chicagos und den selbst von oben wie ein Meer anmutenden Lake Michigan. 

Im Wissen des nahenden Abschieds, wurde die Stimmung insgesamt etwas trauriger. Die Tatsache, dass ein beliebter Aussichtspunkt nicht angefahren werden konnte, da der President höchstselbst der Stadt Chicago die Aufwartung machte, was Straßensperrungen mit sich zog, trug nicht zur Besserung der Situation bei. Also steuerten wir den Millenium Park an und machten an der Millenium Bohne/Wolke eines unserer letzten heißgeliebten Gruppenfotos. Dieses Kunstwerk reflektiert auf verzerrte Art und Weise seine Umgebung und ist daher ein beliebter Anlaufpunkt für Selfies. Die Lehrpersonen waren stolz darauf, kritische Schüler herangezogen zu haben, hatten jedoch trotzdem keine Antwort auf die Frage „Wir befinden uns mitten in Chicago. Warum stellt man hier eine spiegelnde Bohne hin?“ parat. Im Park selbst verbrachten die Schülerinnen und Schüler ihre letzten Stunden (bis März) mit ihren amerikanischen Freunden. 

Wieder im Bus stimmte unser Schüler-Chorleiter ein letztes melancholisches „Country Roads“ an, bevor wir uns Richtung Abschiedsdinner in Bewegung setzten. Auf der Speisekarte stand heute „Chicago Style Deep Dish Pizza“ im Traditionsrestaurant „Giordanos“. Da Pizza, ob ihres hohen Tomatengehalts, in einigen Bundesstaaten als Gemüse bezeichnet wird, brüsten wir uns an dieser Stelle damit, dass wir uns heute vegetarisch ernährt haben. Das besondere an der Chicago-Pizza ist, dass der Käse direkt auf den Teig gestreut wird. Das Problem, dass man ihn dann gar nicht von oben sehen kann, machen die Pizzabäcker damit wett, dass man einfach die dreifache Menge an Käse verwendet. Man sieht ihn dann zwar immer noch nicht von oben, aber man hat immerhin genug Käse. Abgedeckt wird das Ganze von einer weiteren Schicht Teig, ehe man die Tomatensoße inklusive Zutaten auf die, wie ein Kuchen anmutende, Pizza gießt. 

Anschließend ging es ins Hostel, was nichts weniger hieß, als von den Gastschülern Abschied zu nehmen. Erst rollten Koffer, dann flossen Tränen und schließlich fuhren unsere Freunde wieder nach Hause. Die Tatsache, dass man sich im März wieder sehen würde, tröstete nicht über den Abschiedsschmerz hinweg, der auch noch bis in den abschließenden Abendspaziergang zum Navy Pier anhielt, wo man im leichten Nieselregen eine schöne Aussicht auf die Lichter von Chicago hatte. „Ja ist ganz schön hier. Können wir jetzt wieder zurück?“ war zu hören und beschrieb sehr eindrücklich die Grundstimmung unter den Schülerinnen und Schülern. 

Morgen wird sich zeigen, ob Chicago es vermag den Schmerz ein wenig zu lindern oder ob wir am Mittwoch mit deprimierten Schülerinnen und Schülern den Heimweg antreten.

Vielen Dank fürs Lesen!